Nett und freundlich zu sein, ist erst einmal eine wünschenswerte Sache. Moment – nett und freundlich sind zwei total unterschiedliche Dinge! Denn freundlich können wir auch sein, wenn wir nicht nett sind und umgekehrt. Freundlichkeit bedeutet, entgegenkommend und aufmerksam zu sein. Das Nettsein dagegen ist vor allem eines: Selbstaufgabe, und damit Selbstsabotage.
Wie aber können Sie den Unterschied zwischen freundlich und nett, entgegenkommend und selbstaufgebend im Alltag unterscheiden? Und wie geht´s aus der „Ich-bin-zu-nett“-Falle wieder heraus?
1. Nicht nett = Arschloch?
„Werde mehr Arschloch“, kann man in verschiedenen Artikeln im Internet lesen. Und es entsteht die Frage: Bedeutet „Nicht-nett-Sein“ gleich, ein Arschloch zu sein? Ganz klar, nein!
Bitte lassen Sie Vorsicht bei derartigen Empfehlungen walten! Denn wer eine Rolle spielen muss, um im Leben des anderen eine Rolle spielen zu müssen, ist schlicht und ergreifend mit den falschen Menschen zusammen. Es muss keiner zum Bad Boy oder zum bösen Mädchen mutieren, um überall hinzukommen. Es wäre nur eine Rolle, die zu einem netten Menschen nicht passt und früher oder später viel Kraft kosten würde.
Wer eine Rolle spielen muss, um reizvoll und interessant zu wirken, sollte besser darüber nachdenken, ob er mit den richtigen Menschen unterwegs ist.
2. Nette Menschen lieben Harmonie
Wenn sich ein kleines Gewitterwölkchen am Himmel eines Gespräches aufzeigt, haben nette Menschen gern einen Schirm dabei. Sie mögen es, wenn es harmonisch zugeht und Streit nur ein Wort im Duden bleibt. Menschen, die aus Nettigkeit Dinge tun, obwohl sie ihnen zuwider sind oder nicht „Nein“ sagen können oder ihnen etwas zu viel ist, fürchten oftmals eine mögliche Ablehnung. Sie wollen niemanden zur Last fallen und haben Angst vor Kritik und einer möglichen Auseinandersetzung. Das ist auch der Grund, warum sie zu nett sind. Sie wollen lieber zu entgegenkommend sein, als anzuecken.
Manchmal aber muss man es riskieren, Missfallen zu erregen, um Stellung zu beziehen, denn die Fronten müssen auch einmal geklärt werden. Wer dagegen gelernt hat, besser nicht seine Meinung zu äußern, um nicht zu verletzen oder damit einen Streit zu vermeiden, wird still und nett bleiben. Dieses Nettsein war in der Vergangenheit nicht selten eine sichere Strategie, um Schlimmeres abzuwenden. Oft haben nette Menschen bereits in der Kindheit gelernt, sich mit dem Nettsein vor Ärger, Enttäuschung und Bestrafung der Eltern zu schützen.
Nettsein kann für unsere Mitmenschen fürs Erste unkomplizierter sein, aber nur so lange, wie der nette Mensch es duldet. Was aber, wenn es dem Netten mal zu bunt wird?
3. Wenn der Geduldsfaden des netten Menschen reißt
Der nette Mensch macht viel mit: Hausaufgaben abschreiben lassen, Spenden, obwohl das Geld diesen Monat knapp ist, zuhören, obwohl man lieber Ruhe haben würde. Nette Menschen sind sehr geduldig.
Irgendwann aber ist es auch für nette Menschen genug mit ihrer Kein-Problem-Devise. Denn sie spüren, oft viel früher als sie es äußern, dass es genug ist. Hier kann sich ein stiller Vorwurf zuerst mit dieser Aussage zeigen: „Ich tue so viel für dich …“
Wenn jedoch auch hier die Anerkennung ausbleibt und nichts für die ganze Aufopferung zurückkommt, kann es auch dem netten Menschen zu viel werden und er bricht mit seiner Frustration und seinem Ärger heraus. Das ist oft für alle Beteiligten irritierend, denn bisher war der nette Mensch immer so höflich und gefällig, was ist plötzlich los? Und auch der nette Mensch ist beschämt, schließlich wollte er nicht laut werden müssen …
So quält den netten Menschen immer auch der Zweifel: „Sag´ ich etwas oder halte ich besser den Mund?“ Denn die Schuldgefühle, die dazu kommen, wenn ein netter Mensch äußert, was er mag und was nicht, können manchmal schlimmer sein als weiter nett zu sein.
4. Wenn aus „Everybody’s Darling“ „Everybody’s Fußabtreter“ wird
Was aber passiert, wenn ein Mensch seine Bedürfnisse und Wünsche immer unter Verschluss hält und andere Menschen glauben lässt, dass so, wie es ist, alles gut ist?
Dieses Verhalten steigert die Wahrscheinlichkeit, ausgenutzt zu werden. Menschen, die zu viel zu nett sind, haben häufig das Gefühl, für ihre Gutmütigkeit ausgenutzt zu werden. Die Mitmenschen scheinen die ganze Mühe, die ein netter Mensch aufbringt, gar nicht zu schätzen zu wissen. Wie auch? Es ist ja nach Angaben des netten Menschen alles gar kein Problem.
Hier ist es im Sinne des Selbstschutzes auch einmal angebracht, ein elegantes „Nein“ zu formulieren. Zu diesem „Nein“ dürfen Sie nach Bedarf auch gern freundlich lächeln. Jedenfalls ist es wichtig, seine eigenen Grenzen zu wahren und nicht immer „Ja“ zu allem und jedem zu sagen. Denn wer immer „Everybody’s Darling“ sein will, muss aufpassen, dass er nicht schnell zu „Everybody’s Fußabtreter“ wird.
5. Ununterbrochener Einsatz schafft den Nährboden für Burnout
Auch wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der es scheinbar wichtig ist, ständig erreichbar zu sein, müssen besonders nette Menschen darauf achten, nicht immer für jeden erreichbar zu sein. Denn wer zu viel ununterbrochen im Einsatz ist, verliert die Anbindung zu sich selbst. Das ist eine gute Basis bei der Entstehung für ein Burnout.
Die „nette“ Einsatzbereitschaft soll ein Ziel haben: Anerkennung und Wertschätzung vom Gegenüber zu erhalten. Leider ist es aber umgekehrt, denn Studien haben ergeben: Wer sich einbringt, viel tut, gibt und zahlt, bindet und verliebt sich stärker. Wer dagegen weniger für sein Gegenüber tut, empfindet diesen zunehmend als unattraktiv und langweilig.
Mit anderen Worten: Menschen werden nicht langweilig, weil sie mehr oder weniger für andere Menschen tun. Sie werden reizvoll, wenn wir uns einbringen, ohne uns dabei selbst zu verlieren. Die fehlende Anerkennung, vor der sich nette Menschen fürchten, ist eher ein Ausdruck, dass das Gegenüber weniger tun muss. Scheinbar ist sich da jemand zu sicher, dass der nette Mensch schon alles macht und man selbst nichts mehr tun muss. Hier kann es sinnvoll sein, die Aufgaben wieder neu zu verteilen – zum Schutz vor einem Burnout und der Wertschätzung der eigenen Leistung. Denn die eigene Leistung zu steigern, erbringt noch lange keine Achtung, sondern eher ein Gegenüber, das glaubt, sich zurücklehnen zu können.
6. Angst, etwas falsch zu machen
Es ist verhext. Da kommt der nette Mann an eine zickige Frau und die nette Frau an diesen Bad Boy. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zu gehen, oder?
Doch, kann es! Singles, die Angst haben, etwas falsch zu machen, verleugnen sich selbst in der Kennenlernphase. Dasselbe gilt für bereits bestehende Partnerschaften. Wer aus Angst vor Fehlern zu nett ist, lässt sich schnell auf der Nase herumtanzen.
In der Partnerschaft suchen viele Menschen jemanden, mit dem sie Pferde stehlen können – also einen treuen und mutigen Partner, auf den sie sich verlassen können. Treu und mutig also sind die Kriterien? Treue scheint für nette Menschen einfach zu sein. Wie sieht es aber mit dem Mut aus? Dem Mut, auch einmal Fehler zu machen?
7. Durch die Blume gesprochen
Keine Panik, Sie müssen sich nicht in ein männerverschlingenden Monster oder einen frauenverführenden Macho verwandeln. Das ist nicht nötig und entspricht einem netten Menschen nicht. Wenn Sie sich darüber ärgern, als „zu nett“ zu gelten, können Sie stattdessen Ihren Anteil der Verantwortung annehmen.
Denn Menschen, die zu nett sind, sprechen oft durch die Blume und beschönigen Einiges, um nicht anzuecken. Sie sprechen Vieles nicht offen an, weil sie niemanden zurückweisen wollen. Manchmal ist es aber gut, die Dinge offen und direkt anzusprechen. Das kann durchaus in einem freundlichen Tonfall geschehen. Wer verstanden werden will, darf sich verständlich ausdrücken.
8. Das ist nicht so gemeint!
Der unerschütterliche Glaube, er oder sie habe es nicht so gemeint, ist gepaart mit einer Portion Naivität. Auch wenn Naivität bedeutet, anderen Menschen zu unterstellen, sie seien immer füreinander da und handelten ausschließlich in Liebe und Zuneigung zum Wohle der Menschheit, passiert es dennoch, dass Menschen sich verletzen – ob absichtlich oder versehentlich. Diese Verletzung wird der nette Mensch beschönigen, schließlich meinen es in seiner Welt die Anderen nicht so verletzend. Ob nun aber eine Verletzung absichtlich oder versehentlich gesehen ist, kann es manchmal hilfreich sein, diese Verletzung zu äußern.
Angenommen, die Kränkung erfolgte absichtlich, lässt sich diese mit dem Ansprechen klären und in der Konsequenz für die Zukunft vermeiden. Denn man darf sich durchaus gegen Menschen wehren, die sadistische Neigungen haben.
Angenommen, und das wird der wesentlich größere Teil sein, die Verletzung geschah versehentlich, ist es umso mehr von Bedeutung, dass diese angesprochen und geklärt wird. Sonst steht diese Verletzung still schwelend im Raum und verursacht eine Stimmung wie vor einem Sommergewitter: drückend und sehr unangenehm.
9. „Ist mir egal, entscheide du!“
Manchen netten Menschen scheint alles egal zu sein. „Entscheide du!“, heißt es dann. Im Kern ist das aber nur die Angst vor möglichen Konflikten. Was ist, wenn das Gegenüber etwas anderes möchte? Geben wir uns gefügig, scheinen wir willenlos und nachgiebig zu sein. Geben wir Kontra, kommt es womöglich zum Streit. Auseinandersetzung muss nicht immer ein „Pizza-Wurf-Gespräch“ werden, bei dem alle Beteiligten alles, was sie immer schon einmal sagen wollten, drauf legen und dem anderen um die Ohren werfen. Ganz im Gegenteil: Äußern wir unsere Wünsche zeitnah, muss sich nichts ansammeln.
Wer gelernt hat, dass Auseinandersetzung immer in verletzenden Streit ausartet und bei dem man hinterher nur noch die Scherben aufkehren kann, wird sich schwer tun, seine Meinung zu äußern. Haben Sie das Gefühl, zu nett für diese Welt zu sein, üben Sie sich mit kleineren Entscheidungen, z. B., indem Sie das Restaurant für heute Abend auswählen.
Ein bisschen weniger „Ist-mir-Egal“ zeigt auch unseren Mitmenschen, dass sie uns weniger egal sind, sondern: „Du bist mir von Bedeutung.“
10. Rechtfertigungsmodus
Superteure Designerschuhe? Mit Jogginghose zum Bäcker gehen? Kündigung ohne neuen Job? Sonntags kein Besuch bei Mama? Noch immer kein Facebook-Account? Gründe gäbe es wohl viele, wofür man sich rechtfertigen könnte. Aber warum sollte man sich für etwas entschuldigen oder rechtfertigen, das man im Grunde als richtig oder gut empfindet?
Rechtfertigungen schwächen das Selbstwertgefühl. Wir fühlen uns minderwertig.
In der Rechtfertigung passiert aber noch etwas: Wir übernehmen keine Verantwortung für unser eigenes Denken, Fühlen und Handeln. Stattdessen nehmen wir die Schuld auf uns, manchmal sogar zu Unrecht.
Daher gilt besonders für nette Menschen: Raus aus dem Rechtfertigungsmodus, rein in die Eigenverantwortung! Warum sollten wir nicht zu dem stehen, was wir gedacht, gefühlt oder getan haben?
Bitte, seien Sie authentisch!
Das Gerücht, Männer würden keine netten Frauen mögen und Frauen nur auf Bad Boys stehen, hält sich leider noch immer. Und zwar so lange, bis Sie selbst neue Erfahrung machen! Es gibt sie, die Männer und Frauen, die eine ehrliche und aufrichtige Beziehung zu schätzen wissen.
Das Einzige, was Sie tun müssen, ist, nicht „Vielleicht“ zu sagen, wenn Sie im Grunde „Nein“ meinen. Menschen, die Sie mögen, mögen auch Ihr freundliches „Nein“. Niemandem ist geholfen, wenn Sie irgendwann auf Ihr Leben zurückblicken und feststellen müssen: „Mein Leben hat allen anderen gefallen, nur mir nicht.“
Sie dürfen freundlich bleiben, mitfühlend und zugewandt – vor allem Ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen gegenüber. Wenn es Ihnen gut geht, wird das auch Ihr Umfeld zu spüren bekommen.
Und wenn Sie irgendwann ein vorwurfsvolles „Das ist aber nicht nett!“ ernten, probieren Sie befreit aus, ein „Danke!“ zu sagen und dabei zu lächeln.
Herzlichst, Ihre Ulrike Fuchs
Paarberaterin und Heilpraktikerin für Psychotherapie
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