Es ist ein Dilemma: Wir wollen in einer Beziehung leben und uns dennoch frei fühlen. Fehlt dieser Freiraum in der Partnerschaft, fühlen wir uns häufig eingeengt.
Wie ist das in Ihrer Partnerschaft? Klammert Ihr Partner oder Ihre Partnerin? Oder werden Sie nervös, wenn Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin nicht gleich auf jede Nachricht antwortet? Fürchten Sie sich vor einer Trennung oder sind sogar emotional abhängig von Ihrem Partner?
In diesem Artikel werde ich mit Ihnen einige Erkenntnisse aus meiner Beratungsarbeit mit Paaren teilen. Sie stammen aus meinen Beobachtungen und beschreiben das Klammern aus einer Sicht, die beide Partner in das Boot „Beziehung“ holt, wo jeder ein Paddel in der eigenen Hand hält. Beide rudern auf der stürmischen See des Klammerns.
Damit der Text lesbarer ist, verwende ich „Partner“ als Synonym für Partnerin und Partner. Denn es können nicht nur Frauen klammern, sondern auch Männer. Ebenso kommt das Klammern sowohl in heterosexuellen als auch homosexuellen Partnerschaften vor. Ich vertraue darauf, dass Sie, liebe Leserin und lieber Leser, die für Sie stimmige Variation zum Thema für sich finden.
Inhaltsverzeichnis
Zwischen Nähe und Distanz herrscht ein natürlicher Konflikt
Was auf den ersten Blick paradox wirkt, ist völlig normal, denn wir sind unser Leben lang zwischen dem Bedürfnis nach Bindung (Nähe und Geborgenheit) und dem nach Bedürfnis nach Autonomie (der eigenen Entscheidungs- bzw. Handlungsfreiheit) hin und her gerissen. Beides scheint nur schwer miteinander vereinbar zu sein. Wir wünschen uns in einer Beziehung Nähe und Freiraum zugleich. Wenn wir eine Bindung bzw. eine Beziehung eingehen, können wir aber nicht ausschließlich selbstbestimmt sein, denn unsere Liebe sagt: „Da gibt es einen Menschen, den ich liebe, und auf diesen möchte ich genauso Rücksicht nehmen wie auf mich.“ So stecken wir in einem Konflikt aus Nähe und Distanz – dieser ist aber erst einmal natürlich und gesund.
Was genau ist Klammern?
Dieser Konflikt zwischen Nähe und Distanz ist ein typisches Paarproblem. Jeder Mensch empfindet Nähe und Geborgenheit anders, ebenso ist jedem die eigene Entscheidungs- bzw. Handlungsfreiheit unterschiedlich wichtig. Klammern beginnt da, wo der bindungsaktivere Partner den anderen in seiner Selbstverwirklichung einzuschränken versucht.
Was meine ich damit? Es gibt in jeder Beziehung einen Partner, der mehr Verlangen nach Bindung und Nähe hat als der andere. Das ist kein Problem, solange sich beide in ihrer Andersartigkeit akzeptieren. Wenn allerdings der freiheitsliebendere Partner beispielsweise mit Freunden zum Fußball möchte und der bindungsaktivere Partner daraufhin beleidigt ist oder mit Liebesentzug droht, sind wir beim Klammern in der Beziehung angekommen.
Es ist dabei völlig unerheblich, ob man das „Lass-mich-nicht-allein!“ offen ausspricht oder nur denkt. Der Partner wird es so oder so verstehen und darauf oft auch reagieren – meist in Form von Zurückweisung, denn er wird sein Autonomiebedürfnis versuchen zu verteidigen.
Bedürfnis und Bedürftigkeit sind nicht das Gleiche
An dieser Stelle ist es wichtig, den Unterschied zwischen Bedürfnis und Bedürftigkeit zu klären. Bedürfnisse haben ausnahmslos alle Menschen – sie sind natürlich. Wenn wir ihnen folgen, sorgen wir für körperliche und psychische Gesundheit. Es gibt Bedürfnisse, die wir selbst befriedigen können, wenn wir zum Beispiel essen. Und es gibt Bedürfnisse, für die wir unsere Mitmenschen brauchen, wie beispielsweise das Bedürfnis nach körperlicher Nähe.
Die Bedürftigkeit hingegen ist eine emotionale Abhängigkeit, ganz besonders in einer Paarbeziehung. Es ist ein Anklammern, das ausdrückt: „Ich brauche dich, um zu überleben.“ Wenn einer der beiden Partner bedürftig ist, drückt er seine Bedürfnisse in der Regel nicht offen und erwachsen genug aus, sondern erwartet wie ein Kind, dass der Partner (wie früher die Eltern) schon weiß, was man braucht. Bedürftigkeit wirkt oft wie eine kindliche Abhängigkeit.
Würden gleichberechtigte Partner über ihre Bedürfnisse sprechen, wäre ein Verhandeln möglich. Bedürftigkeit, die erahnt werden soll, lässt den Partner in der Regel sehr unfrei werden, denn es schwingt häufig ein stiller Vorwurf mit. Deshalb reagieren die meisten Menschen auf emotionale Abhängigkeit, Klammern und Bedürftigkeit auch so „allergisch“. Es berührt empfindlich unser Bedürfnis nach Selbstbestimmung.
Klammern, um die emotionale Abhängigkeit nicht spüren zu müssen
Kein Mensch ist gern von anderen abhängig. Selbst der bindungsaktive Partner spürt in sich eine Stimme, die ihm zuflüstert: „Du klammerst gerade! Beruhige dich mal wieder!“
Die meisten meiner bindungsstarken Klienten schämen sich sogar dafür, so anhänglich und scheinbar unselbstständig zu sein. Dabei versuchen klammernde Menschen oftmals nur, die emotionale Abhängigkeit nicht spüren zu müssen. Es ist eine Illusion, zu glauben, wir könnten jemals ein Leben frei von jeglicher Abhängigkeit führen. Es gehört zum Menschsein dazu, dass wir auch abhängig sind: von unseren Mitmenschen. Da kann der Selbstwert noch so groß und stabil sein, wir sind einfach nicht dafür geschaffen, allein zu leben und einsam zu sein.
Das Problem ist also weniger das Klammern an sich, sondern wie ein Paar mit dieser ungesunden Anhänglichkeit umgeht. Lesen Sie hierzu auch, was ich zum Thema Eifersucht bereits geschrieben habe.
Der bindungsaktive Partner nutzt das Klammern natürlich unbewusst, um die emotionale Abhängigkeit nicht zu spüren und damit auch Minderwertigkeitsgefühlen aus dem Weg zu gehen. Denn ein Teil in uns weiß: Abhängig zu sein, ist nicht gut. Dieser Teil fühlt sich dann mies und minderwertig. Klammern entsteht, weil wir im Grunde wissen, dass der Partner in einer Beziehung auch Freiraum braucht und wir es (noch) nicht anders hinbekommen.
Zurückweisung – die andere Seite des Klammerns
Der bindungsaktive Partner klammert also, um diesem Gefühlsbrei aus emotionaler Abhängigkeit und der Angst vor Einsamkeit zu entgehen. Und was macht der Partner, der sich mit der zu starken Anhänglichkeit des anderen auseinandersetzen muss? Hat er nicht auch Angst davor, zu abhängig zu sein? Ja, das hat er, weil das Paar immer aus einem bindungsstarken und einem freiheitsliebenden Partner besteht, um die Balance innerhalb einer Beziehung wieder herzustellen. So muss der Partner, der die „Aufgabe“ der Autonomie „übernommen“ hat, logischerweise für Freiraum in der Beziehung sorgen. Das tun die autonomen Menschen häufig, indem sie die Wünsche nach inniger Nähe des Partners zurückweisen. So wird unbewusst die Balance zwischen Nähe und Distanz auf ganz natürliche Weise reguliert.
Im Grunde versucht also ein Paar lediglich, diesen Nähe-Distanz-Konflikt auszugleichen: der bindungsstarke Partner, indem er klammert, und der freiheitsliebende Partner, indem er mehr Selbstbestimmung in die Beziehung bringt. Da dies unbewusste Abläufe sind, liegt es zunächst auf der Hand, dem Klammernden die Schuld für die „nervige“ Anhänglichkeit zu geben und zu sagen, er müsse nur selbstbewusster werden. Aber so einfach ist es nicht.
Klammern ist nur ein Versuch, eine Lösung zu finden
Aus der Arbeit mit meinen Klienten kann ich sagen: Das Klammern ist lediglich ein Versuch, den Nähe-Distanz-Konflikt auszugleichen. Die Paare, bei denen das Klammern in eine Beziehung gekommen ist, gehen meines Erachtens destruktiv mit diesem natürlichen Konflikt um. Häufig sind beide gekränkt und reagieren auch so. Diese Paare sprechen oft zu wenig offen über ihre wahren Gedanken, Gefühle und Wünsche; und zwar schweigen hier beide Partner. Sie sprechen nicht über die Angst vor einer Trennung oder ihre Verlustangst. Manche erklären sogar: „Ich habe keine Angst!“
Angstgefühle gehören jedoch zum Leben und auch zu einer Partnerschaft. Häufig ist es gerade aber der freiheitsliebende Partner, der diese Angst nicht zulassen kann oder will. Er erlebt diese Angst stattdessen von außen kommend durch das Verhalten des bindungsaktiven Partners.
Wichtig ist, den Unterschied zwischen Gefühl und Verhalten zu verstehen. Das Angstgefühl, einen lieb gewonnenen Menschen zu verlieren, ist natürlich. Aus diesem Gefühl heraus verhalten sich Menschen allerdings sehr unterschiedlich: Während die einen konstruktiv über ihre Angst sprechen – das ist Verhalten, durchforsten die anderen das Handy des Partners oder machen sich gegenseitig Vorwürfe – das ist auch Verhalten. Sie sehen, man kann mit Verlustangst sehr unterschiedlich umgehen.
Wenn Sie als Paar mit dem Klammern besser umgehen wollen, sollten Sie sich zunächst fragen: Wie verhalte ich mich selbst? Was sage und was verschweige ich? Wie sind mein Gesichtsausdruck, meine Körperhaltung und meine innere Einstellung meinem Partner gegenüber?
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Was hilft gegen Klammern und Zurückweisung?
Das Klammern ist ein Verhalten und kann daher auch verändert werden. Auch die Zurückweisung des freiheitsliebenden Partners drückt sich in seinem Verhalten aus. Beide Verhaltensweisen sind lediglich ein Versuch, einen Ausweg aus dem Nähe-Distanz-Konflikt zu finden. In diesem Dilemma kommen Verhaltensweisen zutage, die Ihnen und Ihrer Partnerschaft guttun. Andere wiederum können Ihnen möglicherweise schaden. So werden manche Menschen sehr laut (Verhalten), wenn sie Angst haben (Gefühl), was ihnen kurzfristig zu einer Druckentlastung verhilft. Auf lange Sicht jedoch wird es der Beziehung vermutlich eher schaden, denn kein Mensch mag angeschrien werden.
Auch ein Fragemarathon (Verhalten) mit den Sätzen „Was denkst du gerade?“, „Liebst du mich?“, „Wie fühlst du dich?“, etc. kann eher anstrengend für den Partner werden und ist lediglich ein Versuch, mit der Verlustangst (Gefühl) umzugehen.
Die Kernfrage bei zu starker Anhänglichkeit und zu großem Freiheitsdrang in Beziehungen lautet also: Welches Verhalten nützt meiner Beziehung? Und welches Verhalten schadet ihr?
Herzlichst, Ihre Ulrike Fuchs
Paarberaterin und Heilpraktikerin für Psychotherapie
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