Positives Denken hat in den letzten Jahren einen derart „sportlichen“ Charakter bekommen, dass es mittlerweile schon fast peinlich wird, wenn man mal ganz normal schaut – ohne zu lachen. Doch die Überdosis an guter Laune und „Positiv Denken“ kann zu Realitätsverlust führen und sogar krank machen. Warum ist das so? Welche Folgen kann die toxische Positivität haben? Was hilft im Umgang mit negativen Gefühlen? Das erfahren Sie in diesem Blogartikel.
Inhaltsverzeichnis
Positiv Denken oder gesunder Optimismus: Wann wird es toxisch?
Auf den ersten Blick scheint positives Denken richtig und hilfreich zu sein. Unzählige Persönlichkeits- und Motivationsseminare sowie Ratgeberlektüre finden Anwendung. Das „neue richtige Denken“ verspricht Gesundheit, Vitalität und mentale Leistungsfähigkeit.
„Denk positiv, und die Welt ist in Ordnung“ sollte jedoch etwas kritischer betrachtet werden, denn die zwanghaft, aufgesetzte gute Laune – egal, was kommt – macht den Menschen zur Maschine. Gemeint ist hier nicht ein gesunder Optimismus, sondern das automatische Abspulen von Suggestionen, was auf das Umfeld meist maskenhaft und oberflächlich wirkt. Die gesprochenen Texte wirken eingehämmert und es gibt scheinbar nur Erfolge bei den Positiv-Denkenden.
Menschen mit gesundem Optimismus können die Umstände, in denen sie sich befinden, und die Probleme, die sie haben, realistisch einordnen. Anders ist das bei Menschen, die unter toxischer Positivität leiden: Aus Sicht der bzw. die „Positiv-Denkenden“ haben es Menschen, die nicht über ein Dauergrinsen für den Rest des Lebens verfügen, es nur noch nicht richtig versucht oder sind hoffnungslose Versager. Diese Ansichten können sowohl für die Psyche als auch für Beziehungen sehr belastend sein.
Was ist toxische Positivität – und was ist so gefährlich daran?
Der Begriff „toxische Positivität“ bezeichnet eine positive Lebenseinstellung, die den gesunden Optimismus übersteigt und schädlich ist. Bei der toxischen Positivität wird jedes Problem und jede Situation, die unangenehm ist, positiv umgedeutet: „Es gibt keine Probleme, sondern nur Lösungen.“ Alle möglichen Zustände werden übermäßig und unrealistisch uminterpretiert, um glücklich und optimistisch zu sein. Toxische Positivität führt zur Realitätsverzerrung, Verleugnung, Verdrängung und Entwertung von menschlichen Empfindungen.
Toxische Positivität verhindert, dass sich Betroffene ins Leben einbringen und für sich sorgen. Sie wirken „weltfremd“, werden passiv und geben dem Schicksal die Schuld, oder besser, den Gedanken: Man hat nur nicht positiv genug gedacht, deshalb geht´s einem so schlecht.
Dabei wollen wir uns doch nur gut fühlen, glücklich und zufrieden sein. Was ist daran so schlecht? Zum Leben gehören leider nicht nur Erfolg, Glück und permanente gute Laune, sondern es gehören auch Gefühle wie Wut oder Traurigkeit, Angst, Hilflosigkeit oder gar Einsamkeit. Alle Gefühle haben ihren Nutzen: Zum Beispiel hilft Wut dabei, uns abzugrenzen und auch mal „Nein“ zu sagen. Wer seinen Ärger in toxischer Positivität vergräbt, wird sich schwer tun, seine eigenen Grenzen überhaupt wahrzunehmen und ein gesundes „Stopp“ zu setzen. Traurigkeit dagegen hilft uns, dass wir den empfundenen Verlust verschmerzen lernen. Angst schützt uns vor möglichen Gefahren. Hilflosigkeit unterstützt uns indem, was menschlich und gesund ist, nämlich, uns Hilfe zu suchen. Und Einsamkeit tut deshalb so weh, weil wir uns eingeigelt haben. Das ist aber nicht unsere Natur als Mensch – wir brauchen soziale Kontakte. Die Einsamkeit tut deshalb so weh, damit sich einsame Menschen wieder in Bewegung setzen und sozialen Austausch suchen.
Wie gefährlich wäre die Vorstellung, dass all diese – vielleicht unangenehmen – Gefühle positiv umgedeutet werden? Viele Menschen, die unter toxische Positivität leiden, spüren nicht einmal ihre Wut, Trauer, Hilflosigkeit oder Einsamkeitsgefühle. Sie überstreichen in Gedanken alles mit der Farbe der Positivität. Das ist toxisch, denn wichtige Informationen gehen nun verloren. Wir schützen uns nicht mehr, wenn es notwendig ist und vereinsamen, weil wir nicht in Kontakt zu unseren Mitmenschen gehen.
Toxische Positivität – Gut gemeint ist selten gut gemacht
So gut gemeint der Rat sein mag, es leicht zu nehmen und „einfach“ zu lächeln, so ist er für manche doch schwierig umzusetzen. Der bzw. die „Positiv-Denkenden“ und Motivationstrainer wird dann zwar sagen:
„Du hast es nur noch nicht richtig gewollt!“
Jedoch gibt es Situationen im Leben, in denen einem nicht nach Lachen zu Mute ist, zum Beispiel nach einer Trennung, einer verpatzten Prüfung, Missbrauch oder auch in der Depression.
Als ob diese Menschen mit ihrem Schicksal nicht schon genug zu kämpfen hätten, wird ihnen mit einem „Du musst es nur wollen!“
zusätzlich unterstellt: „Du willst dich ja schlecht fühlen!“
Ich bin noch keinem Depressiven begegnet, der gern depressiv ist.
Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der sich gern an Missbrauch oder Gewalt erinnert.
Noch bin ich jemals einem Menschen begegnet, der den Verlust eines geliebten Menschen genießt. Sie etwa?
Zwanghaft gute Laune: Warum jede Emotion wichtig ist
Höhen und Tiefen im Leben sind ganz normal. Es ist sehr gesund, auch mal traurig, wütend oder enttäuscht zu sein. Jedes Gefühl hat seine Berechtigung. Freude und Spaß sind vielen einleuchtend.
Aber wozu dient Angst? Ganz einfach, sie schützt. Angst ist ein Frühwarnsystem, was Gefahr wittert und uns rechtzeitig warnen soll.
Und Wut? Wut lässt uns gegen Ungerechtigkeiten ankämpfen. Sie unterstützt uns, auch mal „Nein“ zu sagen, wenn es angebracht ist.
Auch Ent-Täuschung – wie es die deutsche Sprache genau auf den Punkt bringt – hat ihre Berechtigung: Es ist das Ende der Täuschung und bereitet uns auf die Wahrheit vor, auch wenn diese manchmal schmerzt. Mit frisch geweinten Augen sieht man jedoch klarer.
Trauer hilft uns, besser Abschied nehmen zu können.
Das seelische Gleichgewicht ist hergestellt, wenn alle Emotionen ihren Raum haben dürfen, auch die vermeintlich unangenehmen. Der Versuch, Gefühle wie Angst, Trauer oder Wut zu verbannen, ist, als würde man aus dem Regenbogen ein Gelb oder Blau rausstreichen. Wer ständig gut gelaunt sein will, unterdrückt vermeintlich „negative“ Gefühle. Diese erzeugen einen Aggressionsstau, der unter Umständen plötzliche Gefühlsausbrüche zur Folge haben können.
Positiv denken: Deckmantel für fehlende Konfliktbewältigung
Jeder Mensch hat andere Voraussetzungen. So können wir Erfahrungen, Erziehungsmethoden und Traumen nicht einfach abstreifen wie eine alte Jacke. Pessimismus dient dazu, Missstände und Probleme zu erfassen und Lösungsmöglichkeiten zu finden.
Vielfach wird das Herunterschlucken von unliebsamen Gefühlen als Deckmantel für mangelnde Konfliktfähigkeit genutzt. Innere Unsicherheiten wie „Was könnte der andere dazu sagen?“ oder „Was könnten die anderen denken, wenn ich weine?“ potenzieren Angst, Wut und Trauer, im Unterbewussten.
Weil diese Gefühle nicht angemessen zum Ausdruck gebracht werden können, entsteht ein innerer Druck, der oft passiv abgelassen wird, mit latenten verbalen Spitzen, absichtlichem Vergessen, Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit oder einer aufgesetzten, nicht situationsangebrachten Heiterkeit.
In seltenen Fällen bleiben einem selbst diese Möglichkeiten verwehrt, um Druck abzubauen. Die Gefahr: Unkontrollierte Gefühlsausbrüche können im Extremfall zu Amoklauf führen.
Toxische Positivität wirkt häufig phrasenhaft
Wenn es uns nicht gut geht, dann brauchen wir Mitgefühl und das Gefühl, dass es in Ordnung ist, wie wir gerade denken und fühlen. Wir erkennen, ob jemand ehrlich und aufrichtig mit uns mitfühlt oder nur leere Phrasen abspult. Menschen, die in der toxischen Positivität gefangen sind, haben große Probleme damit, unliebsame Gefühle wie Trauer, Wut, Angst, Hilflosigkeit oder Unentschlossenheit selbst bei sich wahrzunehmen. Dementsprechend spüren sie auch nicht, was diese Gefühle mit einem machen können. Sie verdrängen diese Emotionen und antworten dann schnell mit: „Kopf hoch!“ oder „Wird schon wieder!“
Diese leeren Worte können Ausdruck von emotionaler Überforderung sein und sind vor allem für toxische Positivität typisch.
Toxische Positivität: Positiv denken kann krank machen
Negative Gefühle sind ein Signal zur Erkennung unerträglicher Verhältnisse. Sie setzen den Körper in Bewegung, um Missverhältnisse zu ändern. Unliebsame Gefühle sind überlebensnotwendig.
Trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz eroberten Glücksforschung und „Positive Psychologie“ die Universitäten.
Absurd wird es dann, wenn Patienten und Patientinnen mit schweren Krankheiten wie Krebs oder auch Depression empfohlen wird, alles einfach positiv zu sehen. Die Chemotherapie strafft dann die Haut, hilft beim Abnehmen und macht dauerhaft glücklich. Jedoch verschlimmern sich Depressionen sowie Gefühle von innerer Leere und Einsamkeit, und das trotz Glückslektüre und Dauergrinsen. Plötzlich setzen Selbstzweifel ein: „Habe ich nicht ausreichend genug positiv gedacht? Habe ich etwas falsch gemacht?“
An dieser Stelle beginnt die Abwärtsspirale. Sobald Unglück und Leid als selbst verschuldet angesehen werden, wie das im Modell „Positiv Denken“ vorgesehen ist, macht es krank. Gerade Menschen mit Depression droht mit der toxische Positivität der Absturz in ein noch tieferes Loch.
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Folgen von toxische Positivität: Woran ist krankhaftes „Positiv Denken“ zu erkennen?
Krankhaft wird die Positivität, wenn wir bestimmten Gedanken und Gefühlen keinen Raum mehr geben. Es ist schädlich, sich ausschließlich auf positive Gefühle zu fokussieren. Wer bestimmte, ihm unliebsame, Emotionen verdrängt, wird auch den anderen Gefühlen gegenüber taub. Die Psyche unterscheidet nämlich nicht zwischen positiv und negativ. Jedes Gefühl hat eine wichtige Funktion. Versuchen wir ein Gefühl auszuschließen, ist der Zugang für alle anderen – uns angenehmen Gefühle – verschlossen. Im schlimmsten Falle kann das eine Depression zur Folge haben.
Außerdem kann toxische Positivität auch die Qualität unserer Beziehungen beeinträchtigen. Denn wer nur eine bestimmte Gefühlsskala bei sich selbst dulden kann, wird sich schwer tun, diese unliebsamen Gefühle bei anderen zu tolerieren. Das hat zur Folge, dass man im Beisein von „Positiv Denkenden“, ständig „gut drauf“ sein muss. Alle Beteiligten sind dadurch gestresst und es entstehen Spannungen innerhalb dieser Beziehung.
Typisch für toxische Positivität sind:
- Stimmungsdoping mit Sätzen, wie: „Sei positiv, Optimisten leben länger!“ – übertriebene Verallgemeinerungen, wie: „Angsthasen sind Weicheier!“
- Negieren und Herunterspielen unliebsamer Gefühle, wie: „Der Tod meiner Mutter macht mich nicht traurig, schließlich war sie sehr krank. Es war besser für sie, zu sterben.“
- Leistungsdoping und Sätze, wie: „Ich schaffe alles!“
- Leben in einer Scheinwelt, in der alles harmonisch und unproblematisch ist, Sätze wie:
„Alles ist gut!“ - Schwarz-Weiß-Denken
- Realitätsverzerrung
- Smiling Depression
Wie können Sie mit unangenehmen Gefühlen richtig umgehen?
Toxische Positivität und zwanghaftes „Positiv Denken“ ist Augenwischerei und Verdrängung. Eine gesunde seelische Balance entsteht mit einer realistischen Einschätzung der Situation.
Gerade Menschen mit Ängsten kann es zum Beispiel helfen, sich bewusst vorzustellen, was alles schiefgehen könnte. Mit allem zu rechnen, bedeutet auch, auf vieles gefasst zu sein – das beruhigt.
Gefühle wie Wut, Angst, Zweifel, Ärger, Trauer, Schuldgefühle oder Scham sind unangenehm, sie sind aber nicht schädlich.
Gerade jene, die sich mit unangenehmen Gefühlen auseinandersetzen, tun ihrer Psyche etwas Gutes. Psychologische Studien ergaben, dass es sehr hilfreich ist, unliebsame Gefühlen schriftlich zu verarbeiten. Schreiben hilft bei der Bewältigung dieser Emotionen und fördert damit das Wohlbefinden – und zwar langfristig.
Seelisch gesund und zufrieden ist der Mensch immer dann, wenn äußere Einflüsse mit innerer Wahrnehmung und Emotion in Einklang sind. Wenn dies nicht der Fall ist und Stimmungstiefs, Stimmungsschwankungen, plötzliches „Aus-der-Haut-Fahren“ (ohne ersichtlichen Grund), Ängste, Traurigkeit oder Depressionen, aber auch Harmoniesucht und Dauergrinsen anhalten, sollten Sie professionelle Hilfe aufsuchen.
Herzlichst, Ihre Ulrike Fuchs
Paarberaterin und Heilpraktikerin für Psychotherapie
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